Das NS-Zinnbergwerk Sauersack (bývalý cínový důl Rolava)

Auf dem Kamm des (heute böhmischen) Erzgebirges bestand ehemals zwischen den Orten Gottesgab (Boží Dar), Bergstadt Platten (Horní  Blatná) und Frühbuß (Přebuz) ein Bergbaugebiet, in dem über Jahrhunderte hinweg v. a. Silber, Zinn und Eisen gefördert wurden. Eine besondere Bedeutung erlangten dabei insbesondere die an den Karlsbader Granit gebundenen Zinnerze, die in Richtung Norden im sächsischen Teil des Erzgebirges im Kirchberg-Eibenstocker-Granitgebiet ihre Fortsetzung fanden.

 

Ein Teilrevier befand sich im Umfeld von Frübuß und dem nördlich davon gelegenen Sauersack (Rolava). Hier wurde vermutlich bereits seit dem 14. Jahrhundert im saisonalen Abbau Zinn durch das Ausseifen des Flusses Rohlau (Rolava) gewonnen. 1494 wurde in der Urkunde über das Neudeker Waldzinnerrecht erstmals ein "czinwerk" als Bergwerk in "sawersack" urkundlich genannt. Wegen ihrer abseitigen Lage im Gebirgswald wurden die gesamten (böhmischen) Zinnbergwerke der Gegend auch als "wäldische" Bergwerke bezeichnet. Eine erste Blütezeit erlebte der Bergbau in Frühbuß in den Jahrzehnten zwischen 1530 und 1560. Diese Hochzeit ergriff nach 1550 wohl auch Sauersack, in dem 60 Erzgänge bekannt waren. Um 1560 bestanden in Sauersack u. a. die „Namen Gottes Zeche", die "Hirschbrunstzeche", die "Mückenzeche", mehrere Seifenlehn und 12  Pochwerke an der Rohlau. Weitere namentlich bekannte Bergwerke waren "Vorderer Rappen“, "Kassel", "Trink", "Benedikt", "Erbfluß", "St. Antonie", "Segen Gottes", "Beschert Glück", "St. Lorenz" und "Georg".

 

Als dauerhafte Siedlung wurde Sauersack wohl dennoch erst nach 1600 gegründet. Nach dem Einbruch infolge des 30jährigen Krieges erlebte der Bergbau im ausgehenden 17. Jahrhundert nochmals einen Aufschwung, bevor sich die Lagerstätten zunehmend erschöpften und der Zinnabbau 1857 vorerst endete.

Karte von Sauersack und der Umgebung um 1850 (Ausschnitt der Franziszeische Landesaufnahme 1842-1853)
Karte von Sauersack und der Umgebung um 1850 (Ausschnitt der Franziszeische Landesaufnahme 1842-1853)

Der Bergbauunternehmer Karl Häusler aus Teplitz (Teplice) ließ ab 1906 im alten Bergbaugebiet am Kranisberg nordöstlich von Sauersack Erkundungsarbeiten durchführen, die ab 1908 zur Anlage des Schachtes "Segen Gottes" mit Sohlen in 36 Meter und 52 Meter Tiefe führten. Über die 52-Meter-Sohle bestand eine Verbindung zum 1727 aufgefahrenen "St.-Georg-Stolln", dessen Mundloch ca. 700 Meter östlich des Schachtes im Gelände noch sichtbar ist. Der Abbau kam wohl wegen des Ersten Weltkrieges nicht wirklich in Gang und ab 1919 wechselte die Grube wiederholt die Besitzer, ohne dass die Förderung aufgenommen wurde. Fotos von 1930 zeigen den Förderturm im halbabgerissenen Zustand (siehe [1] und [2]).

 

Mit der 1938 erfolgten Besetzung des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich kehrte auch der Bergbau nach Sauersack (Rolava) zurück. Im Zuge der Autarkiebestrebungen waren die Nationalsozialisten bemüht, alle heimischen Rohstoffe möglichst umfassend zu gewinnen und der Kriegswirtschaft zuzuführen, Fragen der Wirtschaftlichkeit des Bergbaus rückten dabei in den Hintergrund. Schätzungen gingen davon aus, am Kranisberg etwa 188.000 Tonnen Zinnerz mit einem Gehalt von etwa 822 Tonnen Reinzinn zu fördern. Dazu wurde der alte Schacht von "Segen Gottes" wieder in Betrieb genommen. Die alte Schachtsäule war jedoch so marode, dass benachbart ein neuer Schacht unter der Bezeichnung "Schacht II" abgeteuft wurde. Etwa 1 Kilometer weiter westlich wurde ein weiterer Schacht unter der Bezeichnung "Schacht I" niedergebracht. Hier entstand auch die Aufbereitung des nun als "Grube Sauersack" bezeichneten Bergwerkes. Betreiber war die Zinnbergbau Sudetenland GmbH, welche die Grube am 1. März 1940 offiziell eröffnete. Ziel war die Gewinnung der hier mit einem durchschnittlichen Zinngehalt von unter 1% lagernden Zinn-Wolframerze.

 

Bereits 1941 zählte die Grube 186 Beschäftigte, darunter 35 in der untertage-Förderung, die Förderung belief sich auf 1.247 Tonnen Zinnerz. Die im Verlauf des Zweiten Weltkrieges immer stärker zu Tage tretende Rohstoffknappheit v. a. in Bezug auf Baumaterialien verzögerte die vollständige Inbetriebnahme. Die Aufbereitung konnte wohl erst im Februar 1943 in Betrieb genommen werden, der gesamte Komplex dann im Mai 1943. Die gesamten Investitionskosten sollen sich auf über 11 Millionen Reichsmark belaufen haben. 

 

Die Förderung erfolgte im "Schacht II" über die alten Sohlen in 36 Meter und 52 Meter (nun neu als 60 Meter bezeichnet) hinaus auch auf Sohlen in 90 Meter, 120 Meter und 180 Meter Tiefe. Der Abbau konzentrierte sich auf die drei oberen Sohlen, jenseits der 90 Meter ließ der Zinngehalt deutlich nach. Die 60-Meter-Sohle wies eine Verbindung zum "Schacht I" auf. Eine weitere Verbindung war auf der 120-Meter-Sohle geplant, wurde aber nicht realisiert. Die übertage-Anlagen des "Schachtes II" bestanden aus einem hölzerner Förderturm, einem Maschinenhaus, einer Trafostation und einer Kompressorenstation.

 

Bedeutend umfangreicher waren die Tagesanlagen am "Schacht I", die etwa 40 Gebäude nördlich der Straße Sauersack (Rolava) - Hirschenstand (Jeleni) umfassten. Den Kern bildete die mehrstöckige Stahlbetonkonstruktion der Aufbereitungsanlage mit Brecher, Erzlager und Erzwäsche. Die Aufbereitung gehörte damals zu den modernsten ihrer Art, arbeitete nach dem Gravitationsprinzip und hatte eine Kapazität von 150 Tonnen Roherz/Tag. Hinzu kamen der eigentliche Förderturm samt Maschinenhaus sowie alle weiteren technischen, sozialen und administrativen Gebäude (Zimmerei, Magazin, Schmiede/Schlosserei, Verwaltungsgebäude, Wohngebäude, Wasseraufbereitung etc.). "Schacht I" verfügte über Sohlen in 36 Meter, 60 Meter und 120 Meter Tiefe, wobei sich die Auffahrungen auf die 60-Meter-Sohle konzentrierten. Auf dieser Sohle wurden in Richtung Westen/Südwesten Strecken bis zu 1,5 Kilometern aufgefahren. Diese sollten von einem nicht realisierten "Schacht III" weiter erschlossen werden.

 

Da sich die Arbeitskräfterekrutierung im dünn besiedelten Kammgebiet des Erzgebirges schwierig gestaltete, kamen schon 1940 auch Kriegsgefangene aus Frankreich, später auch aus der Sowjetunion, zum Einsatz. Zwangsarbeiter und deutsche Wehrpflichtige stockten das Personal weiter auf. Bei Aufnahme der vollständigen Produktion im Frühjahr 1943 haben in der "Grube Sauersack" knapp 800 Menschen gearbeitet haben, darunter etwa 350 sowjetische und knapp 100 französische Kriegsgefangene, etwa 80 Ostarbeiter (Zwangsarbeiter) aus der Ukraine, Polen und Italien und etwa 250 Deutsche (darunter wohl auch Wehpflichtige). Für die Kriegesgefangenen und Zwangsarbeiter entstand südlich der Straße Sauersack (Rolava) - Hirschenstand (Jeleni) ein Arbeitslager.

Lageskizze der "Grube Sauersack" (Karte: © OpenStreetMap-Mitwirkende, CC BY-SA 2.0, https://www.openstreetmap.org/copyright)
Lageskizze der "Grube Sauersack" (Karte: © OpenStreetMap-Mitwirkende, CC BY-SA 2.0, https://www.openstreetmap.org/copyright)

Das gesamte unterirdische Streckennetz der Grube soll etwa 14 Kilometer lang gewesen sein, umfasste wohl aber auch Strecken des Altbergbaus der Grube "Segen Gottes".

 

Zwischen 1941 und 1945 wurden reichlich 73.000 Tonnen Zinnerz gefördert, die vor Ort zu Zinn mit etwa 60% Reinheitsgrad verarbeitet wurden. Die weitere Verarbeitung des Zinnkonzentrates erfolgte in der Freiberger Zinnhütte. Insgesamt blieb die Ausbeute deutlich hinter den Erwartungen zurück. In den knapp 2 Jahren des vollständigen Betriebes 1943-1945 förderte die Grube Sauersack nur etwa 107 Tonnen Reinzinn. Wolfram traf man entgegen den Erwartungen gar nicht an. Mit dem Herannahen amerikanischer und sowjetischer Truppen wurde die Förderung im März 1945 eingestellt, die Wachmannschaften flohen; Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter marschierten ihren Befreiern entgegen.

 

Die "Grube Sauersack" wurde nach Kriegsende vom tschechischen Staat übernommen, dieser entschied nach Untersuchungen und Erzanalysen jedoch, den wegen der geringen Zinngehalte und der hohen Wasserhaltungskosten unrentablen Bergbau nicht wieder aufzunehmen. Die technischen Anlagen wurden ausgeschlachtet und in eine Grube in Tuchlovice westlich von Prag verbracht. Die Gebäude wurden sich selbst überlassen, die Tiefbaue geflutet. Vom ehemaligen Lager für die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter blieben wegen der Holzbauweise nur die Grundmauern und einzelne Schornsteine erhalten. Auch vom "Schacht II" dürften nicht viele Spuren erhalten sein (an dessen Standort waren wir aber nicht). Auch die nördlich der Straße gelegenen Holzbauten der Hilfsgebäude um den "Schacht I" sind mittlerweile bis auf die Grundmauern verrottet. Vorhandene Kellerbereiche sind teilweise verbrochen und/oder stehen unter Wasser. Erhalten blieb hingegen die mächtige mehrstöckige Stahlbetonkonstruktion der Aufbereitungsanlage, die Mauerreste vom "Schacht I", das Becken des Schlammverdichters (der wohl dem Flotationsprozess nachgeschaltet war) und eine Konstruktion, die vermutlich als Lager (Kartoffelbunker?) diente. Bis heute bilden diese zunehmend von der Natur vereinnahmten und mitten in der Waldeinsamkeit gelegenen Bauten ein eindrucksvolles Zeugnis der jüngeren Bergbaugeschichte der Region.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Jaroslav Hrabanek: Die Geschichte des Bergbaus im böhmischen Erzgebirge (LINK)
  • Region Karlsbad (Hg.): Ein Reiseführer durch die bedeutenden Bergbaudenkmale des westlichen Erzgebirges. Karlsbad 2013
  • Robin Hermann: Böhmischer Erzbergbau. Der Altbergbau im böhmischen Erzgebirge. Chemnitz 2013
  • Verein der Freunde der Grube Hl. Mauritius (Hg.): Exkursionsführer zur 8. Hengstererbener Montanwanderung. Hengstererben 2019 (LINK)