Die etwa 30 Kilometer südlich von Dresden am Kamm des Osterzgebirges gelegene Lagerstätte Altenberg stellt eine der bedeutendsten Zinnerzlagerstätten in Mitteleuropa dar.
Grundlage des Altenberger Bergbaus ist ein im Granitporphyr sitzender geschlossener Granitkörper mit einem Durchmesser von etwa 450 Metern und einem Alter von etwa 300 Millionen Jahren. Dieser ist weitgehend mit Kassiterit (Zinnstein) durchsetzt und wird als Zwitterstock bezeichnet. Der Zinnstein ist dabei mit Korndurchmessern von nur bis zu 0,1 Millimetern und einem durchschnittlichen Zinngehalt von nur 0,31% im Zwitterstock enthalten. Einzelne Reicherzpartien, insbesondere in oberflächennahen Klüften, wiesen aber auch Zinngehalte von bis zu 10% auf. Der Name Zwitter stellt auf die feine Verteilung des Zinnsteins ab, denn für die alten Bergleute war dieser Zinngranit weder Gestein noch Erz, sondern stand zwischen diesen bekannten Formen. Der Zinngehalt nahm ab einer Tiefe von ca. 200/220 Metern deutlich ab und war in tieferen Bereichen nicht abbauwürdig. Neben Zinnstein enthielt der Zwitterstock auf Vorkommen von Wolfram, Molybdän, Arsen und Wismut.
In raumlicher Nachbarschaft zum Zwitterstock traten auch Erzgänge z. B. im Bereich der Zinnkluft, der Rothen Zeche am Neufang und der Paradies Fundgrube am Kahleberg auf, die ebenfalls bergmännisch bebaut wurden. Die Gänge enthielten neben Zinnstein u. a. auch Roteisen, Pyrit und Molybdän.
Der Bergbau begann in Altenberg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ausgehend von Seifenerzfunden in den Flusstälern wurde vermutlich um das Jahr 1440 das Zinnvorkommen des Zwitterstocks entdeckt und der Abbau aufgenommen. Aufgrund der Ergiebigkeit der Erzlagerstätte entwickelte sich der Ort rasch zur wichtigsten Bergbausiedlung im Osterzgebirge. 1451 erfolgte die Erhebung zur Bergstadt. Frühe Produktionsziffern aus den Jahren 1462/63 berichten von ca. 590 Tonnen Zinn, die binnen 85 Wochen gewonnen und verarbeitet wurden. Schon um 1480 sollen etwa 3.000 Bergleute in Altenberg tätig gewesen sein.
Die Aufbereitung des fein im Gestein verteilten Zinns erforderte große Mengen Wasser, so dass schon ab 1460 mit dem Bau des Aschergrabens ein erster Kunstgraben zur Wasserzuführung entstand. In den 1550er Jahren wurde das System der Wasserwirtschaft mit der Anlage des Neugrabens und der Galgenteiche weiter ausgebaut. Wenig vorher wurde 1543 der seit 1491 angelegte etwa 2.500 Meter lange "Zwitterstocks tiefe Erbstolln" fertiggestellt. Er entwässerte die Zinnlagerstätte bis zu einer Teufe von ca. 150 Metern und leitete die Grubenwässer nach Osten ins Tal des Roten Wassers ab.
Bevorzugte Abbaumethode war das Feuersetzen, bei dem das zu brechende und abzubauende Gestein durch Erhitzen mürbe und brüchig gemacht wurde. Im Ergebnis entstanden bis zu 20 Meter weite Weitungsbaue - die jedoch relativ planlos und insbesondere viel zu dicht nebeneinander in den Berg getrieben wurden. Teile des so unterhöhlten "alden Berges" verloren dadurch ihre Standsicherheit und brachen in sich zusammen. Bereits 1545 kam es zu einem Tagesbruch, der 10 Zechen betraf und 8 Tote forderte. Weitere Einbrüche ereigneten sich 1578, 1583, 1587 und 1619. Bereits damals vermutete die Obrigkeit, dass die Bergleute die Brüche befördern würden, um Holz zum Feuersetzen zu sparen und den vergleichsweise harten Zinngranit aus den vorzerkleinerten Bruchmassen besser gewinnen zu können.
Der größte Einbruch ereignete sich am 24. Januar 1620. In den Bruchmassen der damals etwa 140 Meter im Durchmesser großen Altenberger Pinge versanken 30 Zechen mit
12 Schächten sowie das Wohnhaus und die Anlagen des Bergschmieds. Von 24 verschütteten Bergleuten konnten 23 nach kurzer Zeit geborgen werden, nur der 79jährige David Eichler blieb für immer
verschollen - er wurde zum Sündenbock für das Unglück gestempelt, da er angeblich besonders intensiv für den Abbau der stützenden Restpfeiler plädiert hätte.
historische Aufnahmen des Altenberger Bergbaus
Der Pingenbruch, der anschließende 30jährige Krieg sowie Einbrüche im "Zwitterstocks tiefen Erbstolln", dem Hauptentwässerungsstollen des Abbaubereiches, ließen den Bergbau zum Erliegen kommen. Erst ab 1663 konnte der Abbau wieder aufgenommen werden. Auf Druck der kursächsischen Bergbauverwaltung schlossen sich einzelne Bergwerksunternehmer zur "Zwitterstocksgewerkschaft" zusammen. In der Hauptsache wurde von nun an das durch den Pingenbruch gelockerte Gestein gewonnen. Dabei trieben die Bergleute Strecken durch das Festgestein bis in die Bruchmassen und gewannen mit diesem Bruchortbau das im Stollenprofil anfallende Erz. Im 19. Jahrhundert wurde dieses Verfahren durch den Schubortbau verfeinert. Streckenauffahrungen bis zum Übergangsbereich zwischen Festerz und Brucherz führten durch Anlage eines Schrägaufbruchs zum stetigen nachrutschen des Brucherzes, welches so vergleichsweise einfach gewonnen werden konnte.
Gleichwohl wurde auch das Feuersetzen im Festgestein noch weiter praktiziert. In mehreren Jahren, so u. a. 1688, 1714, 1716, 1776, 1785, 1817, 1829 und 1844, kam zu
einer ganzen Reihe weiterer unkontrollierter Einbrüche, denen bis 1817 auch alle Schachtanlagen im ursprünglichen Pingenbereich zum Opfer fielen.
Als neuer Hauptschacht wurde deshalb zwischen 1837 und 1855 der Römerschacht südlich der Pinge und damit außerhalb des bruchgefährdeten Bereichs abgeteuft. Er
erreichte eine Teufe von 237 Metern und hatte Anschlüsse an 8 Abbausohlen. Anlage und Betrieb des Römerschachtes gingen mit einer Reihe von Modernisierungsmaßnahmen einher (1845 Einstellung des
Feuersetzens, 1850 Einführung der gleisgebundenen untertage-Förderung, 1857/58 Einsatz der ersten Dampfmaschine zum Antrieb der Pochstempel in der Zinnaufbereitung, 1862 Ersatz des Kehrrades im
Schacht durch eine Wassersäulenmaschine). Trotzdem geriet der Altenberger Bergbau durch massenhafte Importe von preiswertem Zinn aus England und Indonesien nach 1870 in die Krise. Die Nachfrage
des Ersten Weltkrieges legte diese nur kurzfristig bei und die Weltwirtschaftskrise beendete 1930 vorerst die Förderung.
Die Autarkie-Bestrebungen der Nationalsozialisten führten ab 1934 zur Wiederaufnahme des Abbaus, wiederum verbunden mit einer Reihe von Neuerungen in der Förderung
und Verarbeitung (Einbau einer elektrischen Fördermaschine im Römerschacht, kompletter Neubau einer Aufbereitungsanlage). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb der Abbau in Altenberg
bedeutsam, denn auch die DDR strebte eine möglichst autarke Versorgung mit Zinn an. Der VEB Zinnerz Altenberg erfuhr einen intensiven Ausbau mit dem Ziel der deutlichen Fördererhöhung. Weit
jenseits der bruchgefährdeten Bereiche wurde zwischen 1952 und 1963 der Arno-Lippmann-Schacht als 297 Meter tiefer Hauptschacht neu angelegt.
Der angedachte Totalabbau der Lagerstätte war jedoch nur mit der Gewinnung der Bruchmassen nicht möglich. Der Schubortabbau wurde deshalb seit den 1970er Jahren schrittweise durch den Kammerpfeilerbruchbau ersetzt, um die noch im Festgestein anstehenden Zinnvorräte zu gewinnen. Dafür wurde zwischen 1978 und 1986 auch eine komplett neue Aufbereitung errichtet, die dem Stand der Weltmarkttechnik entsprach. Insgesamt wurden zwischen 1970 und 1990 etwa eine halbe Milliarde DDR-Mark in die Erweiterung und Modernisierung des Altenberger Bergbaus investiert. Somit war der VEB Zinnerz Altenberg ab Mitte der 1980er Jahre in der Lage, eine Förderung und Verarbeitung von ca. 1 Million Tonnen Roherz pro Jahr bzw. von ca. 2.200 Tonnen Zinn im Konzentrat zu realisieren. Zusammen mit der Förderung im erzgebirgischen Ehrenfriedersdorf (ca. 900 Tonnen Zinn im Konzentrat) konnte der Inlandsbedarf der DDR zu etwa 90% gedeckt werden.
Durch die Intensivierung des Bergbaus vergrößerte sich das Ausmaß der Pinge deutlich auf die heutigen Maße von ca. 450 Metern im Durchmesser bei einer Tiefe von ca.
150 Metern und einer Grundfläche von ca. 12 Hektar.
Die Grube wurde im Zuge der Marktöffnung nach der deutschen Einheit im Frühjahr 1991 geschlossen, da die Produktionskosten etwa 30-50% über den damaligen Weltmarktpreisen lagen. Bis dahin wurden in einem Zeitraum von etwa 550 Jahren etwa 37 Millionen Tonnen zinnhaltiges Gestein mit einem Gehalt von ca. 106.000 Tonnen Zinn gefördert - ohne das die Lagerstätte ausgeerzt war. Beachtliche Restmengen (ca. 74.200 Tonnen Zinn, ca. 35.400 Tonnen Arsen, ca. 9.900 Tonnen Wolfram, ca. 4.100 Tonnen Wismut, ca. 3.700 Tonnen Molybdän) harren noch einer künftigen Förderung. Wie realistisch diese Option ist, wird die künftige Weltmarktentwicklung der Rohstoffpreise zeigen.
In und um Altenberg blieben zahlreiche Relikte des Bergbaus erhalten. Landschaftlich markant sind neben der Altenberger Pinge mehrere teils aus dem 15. Jahrhundert
stammende Kunstgräben und die beiden Galgenteiche, welche den umfangreichen Wasserbedarf der Zinnaufbereitung sicherstellten. Die Tagesanlagen des Arno-Lippmann-Schachtes prägen bis heute das
Stadtbild von Altenberg, während vom Römerschacht nur als Ruine erhalten blieb. Im Umfeld der Pinge finden sich mit dem Pulverhaus (1793), dem Markscheidestein (1811) und den Schutzhäusern der
Überhauen 20 und 32 sowie dem Schutzhaus des Rothzechner Treibeschachtes weitere Sachzeugen aus verschiedenen Bergbauepochen. Von den ehemals zahlreich vorhandenen Zinnwäschen und
Aufbereitungsanlagen wurde die Wäsche IV seit 1952 umgebaut und 1957 als Bergbaumuseum eröffnet. Hier findet sich die einzige erhaltene Pochwäsche im Erzgebirge. Teil des Museums ist der seit
1971 zugängliche Neubeschert-Glück-Stolln, der an verschiedenen Stationen einen Einblick in die untertägigen Gewinnungsmethoden des Zinnbergbaus bietet. Das Bergbaugebiet Altenberg ist seit 2019
Bestandteil der UNESCO-Welterbestätten der Montanregion Erzgebirge.
Römer-Schacht und Arno-Lippmann-Schacht
Bergbaumuseum in der ehemaligen Zwitterstocksgewerkschaftlichen Wäsche Nr. IV
(Naumann-Mühle)
untertägiger Museumsbereich im Neubeschert-Glück-Stolln
Altenberger Pinge
Zeugnisse der bergmännischen Wasserwirtschaft
sonstige Bergbauzeugnisse
Literatur und weiterführende Informationen